Skip to main content
04.09.2023 EU-News

Pes­ti­zi­de: Ge­fähr­li­ches Spiel mit un­se­rer Ge­sund­heit

In unserem Urin, ja sogar in Muttermilchproben können Pestizide nachgewiesen werden. Das hat langfristig schädliche Folgen. Im letzten Teil meiner Reihe beschreibe ich, wie sich Pestizide auf unsere Körper auswirken und warum wir uns im Alltag kaum vor ihnen schützen können.

Ackergifte sind überall. Sogar in der Luft über der Wiener Innenstadt und in ostösterreichischen Nationalparks konnten Forschende der Universität für Bodenkultur (BOKU) Rückstände von Insektiziden und Unkrautvernichtern nachweisen. Die Hälfte der Stoffe ist akut toxisch, ein Viertel krebserregend. 

Vom Obstregal in unsere Körper

Auch im Supermarkt kommen wir um Pestizidrückstände kaum herum: ein Drittel des konventionellen Obstes ist laut Untersuchungen von PAN Europe mit problematischen Pestiziden belastet. Die Hälfte der Kirschen und ein Drittel der Kiwis sind betroffen. Dabei geht es um Gifte, die nachweislich unserer Gesundheit schaden – und sich langfristig in unseren Körpern anreichern. So wurde etwa der Unkrautvernichter Glyphosat in deutschen Studien bereits im Urin und in der Muttermilch der Probandinnen nachgewiesen. Auch längst verbotene Stoffe sind teils immer noch nicht verschwunden: In meinen eigenen Haaren wurden zum Beispiel DDT und Lindan nachgewiesen. Beide Insektizide sind in der EU verboten, DDT wird seit Jahrzehnten nicht mehr eingesetzt. 

Rückstände mit weitreichenden Auswirkungen

Die gesundheitlichen Folgen können vielfältig sein. Manche Pestizide sind langfristig krebserregend. In Frankreich wurde etwa das Non-Hodgkin-Lymphom als Berufskrankheit in der Landwirtschaft eingestuft. Zusammenhänge zwischen Pestiziden und Parkinson wurden bereits erwiesen, aber auch Auswirkungen auf die Fruchtbarkeit sind bekannt. Laut Studien haben Frauen, die regelmäßig pestizidbelastete Lebensmittel zu sich nehmen, eine signifikant niedrigere Chance schwanger zu werden. In weiterer Folge können Pestizide die Entwicklung von Kindern beeinträchtigen. So etwa Fluazinam, das auf Apfelplantagen gegen Pilzkrankheiten gespritzt und immer wieder auf Spielplätzen nachgewiesen wird. In Versuchen mit Ratten wurde etwa eine verzögerte Geschlechtsreife oder ein geringeres Hirngewicht durch Fluazinam festgestellt. 

Studien kommen erst Jahre später ans Licht

Durchgeführt wurden diese Studien schon 2005, doch die daraus resultierenden Daten hat die Industrie bei der EU-Zulassung einfach nicht eingereicht. Erst bei der Neubewertung des Stoffes 2024 sollen sie einbezogen werden. Das ist kein Einzelfall. Das EU-Zulassungssystem ist lückenhaft, Studien über die Folgen von Pestiziden werden von der Industrie selbst durchgeführt und teils nach Gutdünken eingereicht. Cocktaileffekte werden gar nicht einbezogen. Dabei wäre genau das so wichtig, denn wir sind nicht nur einem Stoff ausgesetzt. Allein in der Luft über Wien wurden 17 unterschiedliche Pestizide gefunden. 

Weltweit wenig Schutz vor Vergiftungen

Global gesehen sind besonders akute Pestizidvergiftungen ein großes Problem. Übelkeit, Erbrechen, Durchfall und im schlimmsten Fall Organversagen können die Auswirkungen sein. 385 Millionen Menschen erkranken jedes Jahr weltweit, weil sie mit Pestiziden in Berührung kommen. Der größte Teil davon im Globalen Süden, wo weniger Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden oder Schutzkleidung fehlt. Die hochgefährlichen Wirkstoffe werden wiederum aus Europa exportiert. Zum Beispiel von Monsanto-Bayer. Der Konzern nutzt die Absatzmärkte in Drittstaaten, um Pestizide zu verkaufen, die in der EU bereits nicht mehr zugelassen sind. 

Pufferzonen und Anwendungsverbote

Was also tun? Es liegt in der Verantwortung der Politik, die öffentliche Gesundheit, aber auch die der Bäuerinnen und Bauern zu schützen. Dafür brauchen wir in der EU eine starke neue Pestizidverordnung (SUR). Um die tägliche Belastung mit Pestiziden zu minimieren, muss nicht nur der Einsatz endlich nachhaltig reduziert werden, es muss auch breite Pufferzonen zu Feldern geben. Im öffentlichen Raum, in Parks oder Wohngebieten, sollten gar keine Pestizide eingesetzt werden dürfen. Und: Parkinson und bestimmte Krebsarten müssen EU-weit als Berufskrankheiten in der Landwirtschaft anerkannt werden. Dafür setze ich mich in den Verhandlungen im EU-Parlament ein. 

Wie steht es um die neue Pestizidverordnung?

Vor über einem Jahr hat die EU-Kommission ihren Vorschlag für eine neue Pestizidverordnung (SUR) vorgestellt. Das Ziel: Der Einsatz und das Risiko von chemischen Pestiziden sollen bis 2030 EU-weit halbiert werden, wie es auch schon in der Farm-to-Fork-Strategie für ein nachhaltiges Lebensmittelsystem festgelegt wurde. Damit dieser Vorschlag umgesetzt werden kann, müssen sich Kommission, Europaparlament und Mitgliedsstaaten (Rat) auf einen Gesetzestext einigen Ich übernehme dabei die Rolle der Berichterstatterin im Parlament und bin mitten im Geschehen. 

Die Verhandlungen sind zäh, Gegner der SUR versuchen den umstrittenen Gesetzesvorschlag mit allen Mitteln auszubremsen. Zum Beispiel haben die Agrarminister vor einem halben Jahr zusätzliche Daten von 

der Kommission gefordert, um die Verhandlungen zu verzögern. Dabei ging es um Ernährungssicherheit und Bürokratieaufwand. Jetzt wurden diese Daten endlich vorgelegt und die Kommission hat gezeigt, dass die Einwände unberechtigt waren. Derweil ist die Positionsfindung im Rat allerdings kaum vorangekommen, Verzögerungsziel erreicht.

Im Parlament ist nach einem monatelangen Tauziehen über Zuständigkeiten im Herbst die Abstimmung zur gemeinsamen Position geplant. Erst wenn das geschafft ist und auch der Rat sich geeinigt hat, können Rat, Parlament und Kommission im Trilog über endgültige Gesetze verhandeln. Wann die neue Verordnung fertig sein wird, ist also unklar. Ziel ist, es noch vor Ende dieser Legislaturperiode und damit vor der nächsten EU-Wahl abzuschließen. 

Sarah Wiener
Sarah Wiener

Europaabgeordnete der Grünen

Köchin

Bio-Bäuerin

Unternehmerin

Beitrag teilen
1
2
3
4
5
6
7
8