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19.10.2020 News

Mob Gra­zing

Mein erstes Jahr mit Kühen im langen Gras

Kurzrasenweide war mein Einstieg in die Vollweidehaltung. Die Kühe nur mehr zum Melken in den Stall, Leistung zwar kleiner, dafür auch die Kosten. Verdienst etwa gleich, dafür größere Freude, da das was man produziert, tatsächlich aus dem eigenen Betrieb kommt.

Doch auch immer wieder Zweifel: hoher Harnstoffgehalt, niedriger Milchfettgehalt, Leistungsschwankungen, Dauerdurchfall, Mist konzentriert sich auf die ebenen Flächen, viele Viehsteige und andere kahle Flächen. Und – trotz ständigem Nachsähen (Wiesenrispe, Deutsches Weidelgras, Weißklee) scheint die Flächenleistung zu sinken.

Nach der langen Trockenheit war es dieses Frühjahr nicht mehr zu übersehen. Auf den Flächen, die dauerndem Verbiss ausgesetzt waren, war das Wachstum beinahe null. Trotz gleicher Frühjahrsdüngung ein klarer Unterschied zu den Mähflächen – abgeschnitten genau, wo der Zaun verlaufen ist. Es musste was passieren.

Naturnahe Langgrasweide

In der unberührten Natur schließen sich Rinder zum Schutz vor Raubtieren zu riesigen Herden zusammen (Bisons, Gnus). Das Gras wird in kurzer Zeit gefressen, verschmutzt, zertrampelt – die Herde muss also ständig weiterziehen. Durch das kurze Einwirken der Tiere und die lange Ruhephase bilden sich stabile Grasnarben und Böden mit hohen Humusgehalten. Untersuchungen im Grasland Amerikas im 18. Jahrhundert haben Graswurzeln in 9 Meter Tiefe gefunden. Die Böden waren extrem fruchtbar, bis der Humusgehalt durch Pflügen oder Dauerbeweidung sank.

„Mob Grazing“, im englischen Sprachraum auch „Adaptive Grazing“ genannt, stellt die Natur nach. Jeden Tag eine neue Weide. Im Unterschied zur Portionsweide dürfen die Kühe selektieren (ich habe ca. 30-40.000 kg Lebendgewicht pro ha Fläche auf meine Weide geschickt). Mindestens 50% soll zurückbleiben. Welche Verschwendung! Welches Chaos, wenn die Herde weitergezogen ist!

Ungebremstes Wachstum

Doch siehe da – das Gras wächst schnell weiter (genug Assimilationsfläche). Was zertrampelt wurde ist Schutz und Nahrung für das Bodenleben. Humus entsteht, das Wasserhaltevermögen des Bodens steigt. Hahnenfuß, Löwenzahn fallen kaum mehr auf in der Fülle an Wachstum von wertvollen Pflanzen. Geilstellen sind kein Thema mehr – die Kuh grast oben, der untere Teil soll eh bleiben. Gleiches gilt für Parasiten – wenn in Bodennähe seltener gegrast wird und die Weide eine lange Ruhephase hat, haben Parasiten wenig Chancen einen Wirt zu ergattern. Es gibt wieder Insekten. Und Spinnen. Aber weniger Fliegen. Hat die Kuh da gerade einen Ampfer gefressen? Und die andere den Bärenklau?! Der Mist ist gut verteilt. Horstgräser gedeihen prächtig. Kuhfladen „schön“ geformt. Kaum mehr nackte Erde. Milchleistung etwa gleich wie bei Kurzrasen, aber stabiler, Milchfett meistens über 4% – trotz Vollweide!

Viel Arbeit?

Täglich Zaun machen ist viel Arbeit – keine Frage. Vor allem bis das System sich einspielt. Viel ist zu bedenken – Triebwege, Wasser, Schatten, … Aber gesamt betrachtet relativiert sich das wieder.

Kein Nachsähen mehr, keine Parasitenbekämpfung (Wurmmittel sind sowieso ein Hammer für das Bodenleben), kaum Unkrautbekämpfung, weniger Weidepflege, …

Und wenn sich wie erwartet damit auch die Weidesaison deutlich verlängern lässt, dann schaffen wir in Summe vielleicht sogar eine Reduktion der Arbeitszeit.

Es bleibt spannend.

Gute Schuhe

Was braucht man, um Mob Grazing umzusetzen? Viel Motivation, gute Schuhe, Durchhaltevermögen, einen guten, leicht überstellbaren Elektrozaun, die Freude am Beobachten und Anpassen.

Weitere Informationen bei pastureproject.org oder savory.global. Greg Judy postet beinahe täglich ein Youtube Video, wie er mit seiner Herde durch das Jahr kommt. Auf Deutsch gibt’s Videos von Viviane Theby.

Reinhard Stückler
Reinhard Stückler

Obmann Stellvertreter GBB Österreich

Obmann GBB Kärnten

Bio-Milchviehbauer

[email protected]
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