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01.02.2024 EU-News

Neue Gen­tech­nik im Eil­ver­fah­ren

Separation of the cleavage of a DNA site on the example of an abstract model on a red-blue color background.

Die Europäische Kommission plant die unkontrollierte Zulassung und Ausbringung von Neuer Gentechnik auf Europas Feldern zum Schaden der Landwirt:innen, der Konsument:innen und der Biodiversität. Diese Pläne sollen nun auch noch im Eiltempo durchgepeitscht werden, um die parlamentarische und öffentliche Debatte im Keim zu ersticken.

Neuer Gesetzesvorschlag

Im Juli hat die EU-Kommission nach starkem Lobbydruck von Saatgut- und Chemieriesen wie Bayer-Monsanto und Corteva ihren Vorschlag für ein neues EU-Gentechnik-Gesetz präsentiert. Im Gegensatz zur momentan gültigen Gesetzeslage möchte die Kommission in Zukunft für ca. 90% aller Saatgutsorten, die mit Neuer Gentechnik hergestellt wurden, keine Zulassungsverfahren mehr durchführen. Konkret betrifft das all jene gentechnisch veränderten Pflanzen, die nach Definition der EU-Kommission mit solchen aus natürlicher Züchtung „vergleichbar“ sind. Damit würden alle bisher durchgeführten Verfahren zur Risikoanalyse und Untersuchung der Umweltauswirkungen wegfallen. Die Produzent:innen müssten auch nicht mehr darlegen, was verändert wurde, wodurch Rückverfolgung nicht mehr möglich wäre. Auch die Kennzeichnungspflicht soll entfallen.

Das bedeutet, dass künftig genetisch veränderte Organismen in die Natur ausgebracht werden könnten, ohne dass es eine wissenschaftliche Beurteilung über mögliche Risiken, wie Allergien oder negative Einflüsse auf die Biodiversität, gibt. Das wäre eine De-facto-Deregulierung der Neuen Gentechnik und damit das Ende des Vorsorgeprinzips, ein in den europäischen Verträgen verankertes Grundprinzip der Gesundheits- und Umweltpolitik und des Verbraucher:innenschutzes. Durch den Wegfall der Kennzeichnung wäre auch die Wahlfreiheit hinfällig. Auch nationale Gentechnikverbote sollen, wenn es nach dem Vorschlag der Kommission geht, nicht mehr zulässig sein. Das wäre das Ende der Gentechnikfreiheit in Österreich und ein schwerer Schlag gegen die österreichische gentechnikfreie Bio- und konventionelle Landwirtschaft – ein österreichisches Markenzeichen und internationaler Exportschlager. Allein im Jahr 2020 wurden rund 12,6 Milliarden Euro für „Ohne Gentechnik“-Produkte ausgegeben. Es geht hier also nicht alleine um Umweltschutz, sondern auch um die Gefährdung ganzer Wirtschaftssektoren.

Auswirkungen auf die Landwirtschaft

Die Europäische Volkspartei möchte nun noch über den Kommissionsentwurf hinaus gehen und Gentechnik sogar im Bio-Bereich zulassen.

Demnach soll nicht einmal das Saatgut von gentechnisch veränderten Pflanzen etikettiert werden, was eine gentechnikfreie Produktion quasi verunmöglichen würde. 

Denn selbst mit Kennzeichnung bleiben viele Fragezeichen. Eine Kontamination entlang der Produktionskette zu vermeiden ist nämlich nicht so einfach. Denn eine Rückverfolgung und Nachweis von genetischer Manipulation ist de facto unmöglich. In der bisher gültigen EU-Gentechnik-Verordnung müssen Hersteller Nachweismethoden beim Zulassungsverfahren mitliefern. Für die Neue Gentechnik entfällt diese Vorgabe jetzt.

Die Frage, wie Bio-Landwirt:innen unter diesen Bedingungen eine gentechnikfreie Produktion sicherstellen sollen, lässt die Kommission unbeantwortet. Auch eventuelle Schäden an der Umwelt oder der Biodiversität können so nicht rückverfolgt und die Verursacher nicht zur Rechenschaft gezogen werden.

Aber damit nicht genug. Obwohl die Kommission einen großen Teil der Produkte aus Neuer Gentechnik also mit jenen herkömmlicher Züchtung gleichsetzen möchte, wird es weiterhin möglich sein, Patente auf Gentechnik-Produkte anzumelden. Dabei ist noch komplett ungeklärt, wie nachgeprüft werden soll, ob Merkmale durch Genmanipulation oder klassische Züchtung zustande gekommen sind. Große und kleine Züchter:innen könnten damit schnell rechtliche Schwierigkeiten bekommen. Die Europäische Kommission und das Europäische Patentamt schieben sich gegenseitig die Verantwortung zu.

Unsere Position ist klar: Es darf keine Patente auf Leben geben. Solange es in dieser Frage keine Lösung gibt, darf auch das neue EU-Gentechnikrecht nicht in Kraft treten. 

Weitere Schritte

Nachdem die Kommission ihren Vorschlag vorgelegt hat, müssen nun das Europäische Parlament und die Mitgliedsstaaten ihre Positionen festlegen und in Verhandlungen treten. Der dafür vorgesehene Zeitplan ist so knapp, dass eine politische Debatte unmöglich wird. Das Ziel ist ganz eindeutig ein Durchpeitschen dieses Gesetzesvorschlags noch in dieser Legislaturperiode, vorbei an Parlament und Bürger:innen. Um das zu verhindern wirkt nur öffentlicher Druck und eine EU-weite Debatte.

Denn die Kommission und die Europäische Volkspartei sind auf einem Irrweg, wenn sie glauben, die Klimakrise mit Gentechnik lösen zu können. Ganz im Gegenteil: Die Kommission öffnet Tür und Tor für patentiertes Saatgut, industrielle Massenproduktion und eine Lebensmittelproduktion, die von einigen wenigen Mega-Konzernen abhängig ist. Nur eine Agrarwende hin zu klima- und biodiversitätsfreundlichen Methoden, ein Fokus auf regionale Kreisläufe und die kleinstrukturierte Landwirtschaft können die Folgen der Klimakatastrophe eindämmen. Mit genug öffentlichem Druck verstehen das vielleicht auch die konservativen Parteien und die Europäische Kommission. 

Der Agrarausschuss im Europäischen Parlament hat am 11. Dezember über die Deregulierung der Neuen Gentechnik abgestimmt.

Demnach soll es künftig für 94% aller neuen Gentechnik-Pflanzen keine Risikobewertung, Nachweisprüfung, Rückverfolgbarkeit, Verbraucherkennzeichnung und Überwachungs- oder Koexistenzmaßnahmen mehr geben. Die Europäische Volkspartei, die rechtsextreme ID, zu der auch die FPÖ gehört sowie die liberale Partei haben geschlossen für die Deregulierung gestimmt. Nur eine einzige Gegenstimme gab es aus den Reihen der Sozialdemokrat:innen. Als einzige Fraktion haben die Grünen geschlossen gegen die Deregulierung der Neuen Gentechnik gestimmt. Thomas Waitz und Sarah Wiener waren die einzigen österreichischen Abgeordneten, die an der Abstimmung teilnahmen, Alexander Bernhuber von der ÖVP, der sich bisher noch nicht öffentlich zu dieser Thematik geäußert hat, ist der Abstimmung fern geblieben.

Tom Waitz
Thomas Waitz

Vorstandsmitglied GBB Österreich + Steiermark

Europaabgeordneter

Biobauer, Imker und Forstwirt

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